Lebensfreude für alle Sinne
Der GÜLDENE HERBST, Thüringens Festival Alter Musik, begeisterte mit spritziger Barockmusik und kulinarischen Genüssen
Die Blätter werden langsam bunt. Der GÜLDENE HERBST machte seinem Namen alle Ehre. Am Wochenende ging das Alte-Musik-Festival erstmals unter seiner neuen künstlerischen Leiterin über die Bühne. Alice Lackner, selbst erfahrene Altistin, organisierte unter dem Motto „Welch ein Genuss!“ ein vielfältiges Programm für alle Sinne.
Großer Andrang herrschte beim Aperitif-Konzert im Sächsischen Hof. An einer langen Tafel wurden fünf Köstlichkeiten aus verschiedenen Gegenden Europas serviert: von italienischen Antipasti bis zu Fish and Chips. Geplauder und Tellerklappern mischten sich in die fröhlichen Barockklänge aus den entsprechenden Ländern. Die Capella Jenensis legte energisch los mit dem Italiener Vivaldi und endete mit dem Franzosen Jean Baptiste Lully, der ein Rezept für Heiße Schokolade vertonte. Auch ein Thüringer fand sich im Programm: Johann Valentin Meder aus Wasungen, der als Kapellmeister in Danzig Karriere machte.
Der Genuss von hochprozentigem Danziger Goldwasser ließ die Musikfreunde anschließend gut gelaunt zum Theater schlendern, wo die neue Barock-Produktion „Didone Abbandonata“ gegeben wurde. Erstmals kooperierte der GÜLDENE HERBST so eng mit dem Meininger Theater, dessen Intendant Jens Neundorff von Enzberg den Anlass nutzte, um eine kleine Ausstellung im zweiten Rang zu eröffnen. Zu sehen sind rare historische Fotografien von Herzog Georg II. und seinen Theater-Mitstreitern.
„Barocke Liebeslieder“ gaben in der Schlosskirche die einträchtig harmonierenden Sängerinnen des Trios meZZZovoce zum Besten, dem auch die Festivalleiterin Alice Lackner angehört. Liebesfreud und Liebesleid in allerlei Sprachen war hier zu vernehmen; leidenschaftlich vertont vom Italiener Monteverdi, oder eher innig beseelt vom Engländer John Dowland. Georg Neumark, der am Weimarer Hof komponierte, steuerte ein schwärmerisches Geburtstags-Ständchen für die Weimarer Prinzessin Dorothea-Maria bei.
Dass der Tabak einst als gesundheitlich völlig unbedenklich galt, bewies der Meininger Kammerchor unter der schwungvollen Leitung von Stadtkantor Sebastian Fuhrmann. Der Chor gab ein Loblied auf den „Toback“ aus der Feder des Gothaer Kapellmeisters Gottfried Heinrich Stölzel zum Besten. „Alle Sorgen, alle Plagen, kann er aus der Brust verjagen“, heißt es dort.
Die Amateure sangen engagiert, ausdrucksstark, textverständlich. Unterstützung erhielten sie vom Telemannischen Collegium Michaelstein aus dem Harz, das munter auf seinen historischen Instrumenten zugange war.
Erstmals gab es einen Ideenwettbewerb. Musiker und Ensembles waren eingeladen, ein innovatives Programm passend zum Festivalmotto zu entwerfen. Aus 60 Bewerbungen wurde Yat Ho Tsang gekürt, der aus Hongkong stammt und in Frankfurt lebt. Sein Instrument ist die Traversflöte, jener weicher und wärmer klingende Vorläufer der Querflöte.
Stimmungsvoll ging es bei seinem Konzert im Marmorsaal des ansonsten nächtlich verwaisten Schlosses zu. Yat Ho Tsang verband Bach mit chinesischen Klängen des 18. Jahrhunderts, wobei er sich in einen atemberaubenden virtuosen Taumel steigerte. Auf Leinwand waren seine eigenen farbenfrohen Landschaftsfotos zu sehen. Die Schauspielerin Irina Hüfner deklamierte schwermütige Verse, die von der Orient-Sehnsucht deutscher Dichter zeugten.
Am nächsten Morgen blitzte der Marmorsaal in der Herbstsonne. Die Capella Sollertia hatte zur Frühstücksmatinee mit Bachs berühmter „Kaffeekantate“ geladen. Unter den Solisten brillierte Festivalleiterin Alice Lackner mit leuchtendem Alt; zuweilen übertönt von den sehr durchdringenden Herren Michael Mogl und Sebastian Myrus.
Bei dem sehr frommen „Meininger Bach“ Johann Ludwig hingegen wird das „Himmelsbrot“ den schnöden irdischen Genüssen vorgezogen. Das begeisterte Publikum ließ sich davon nicht abhalten, während der Konzertpause im Turmcafé einzukehren.
Mit einer aufsehenerregenden Ausgrabung fand der GÜLDENE HERBST seinen Abschluss: Das Barockoratorium „La Colpa originale“ von Francesco Bartolomeo Conti war drei Jahrhunderte lang vergessen und wurde kürzlich in der Universitätsbibliothek Jena wiederentdeckt. Die Blockflötistin Dorothee Oberlinger und ihr Ensemble 1700 haben das Werk nun einstudiert.
Es geht um Adam und Eva, die im Paradies leben und nach dem Verzehr der verbotenen Frucht vertrieben werden. Eine schelmische Note brachte Alice Lackner als Cherubino in dieses dramatische Geschehen.
Am Ende lädt der „Chor der göttlichen Intelligenz“ dazu ein, den Genuss zu reflektieren und das Leben bewusst freudvoll zu gestalten. Die Botschaft passt perfekt zum Motto dieses ebenso klugen wie unterhaltsamen Festivals.
Antje Rößler